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HI-LING

LINGUISTIK AN MITTELSCHULEN

UNIT 2: VIOLATION OF MAXIMS

Sprechakte

Definition: Sprechakte sind sprachliche Äusserungen, die neben dem Vermitteln von Informationen auch eine bestimmte Wirkung erzielen und dadurch selbst eine Handlung vollziehen können.

Schlüsselbegriffe

  • Sprechakte

  • Performative Wörter

  • Direkte Sprechakte

  • Indirekte Sprechakte

  • Lokution

  • Illokution

  • Perlokution

TEIL 1: DIREKTE UND INDIREKTE SPRECHAKTE

Wenn wir uns sprachlich ausdrücken, geht es oftmals darum, Informationen zu vermitteln oder Behauptungen aufzustellen. Das wird vollzogen, indem wir herkömmliche Sachverhalte beschreiben, wie zum Beispiel: Wasser wird zu Eis, wenn der Gefrierpunkt von 0°C erreicht wird. Aussagen dieser Art sind daran erkennbar, dass sie als richtig oder falsch eingestuft werden können und dass sie in erster Linie eine Feststellung ausdrücken. Dennoch können wir mit Sprache weitaus mehr bewirken als lediglich beschreiben oder feststellen: wir können mit Sprache handeln. Wenn eine sprachliche Äusserung zu einer Handlung wird, dann reden wir von Sprechakten. Derartige Aussagen können von performativen Wörtern oder bestimmten Ausdrucksweisen ausgelöst werden. Unter performativen Wörtern versteht sich eine Gattung innerhalb mehrerer Wortarten - in den meisten Fällen innerhalb der Verben - die durch ihren Ausdruck bereits eine Handlung vollziehen. Beispiele dafür sind: versprechen, schwören, wetten, warnen… So verpflichtet man sich etwa mit der Äusserung: Ich verspreche, dass ich vor Mitternacht zu Hause sein werde! automatisch zur Handlung, d.h.mit der Aussprache des Versprechens ist die Handlung bereits vollzogen. Performative Aussagen sind ausserdem daran zu erkennen, dass man sie weder als richtig, noch als falsch bezeichnen kann. Wenn also jemand zu mir sagt Ich verspreche, dass ich vor Mitternacht zu Hause sein werde! kann ich darauf nicht erwidern "Das stimmt nicht, das versprichst du nicht", denn die Person hat es mir mit ihrer Aussage bereits versprochen.

Neben Verben können auch andere Wortarten eine performative Aufgabe übernehmen: Ich verurteile Sie hiermit zu drei Jahren Haft. Das Wort hiermit nimmt eine formelle und performative Rolle ein und wird dafür eingesetzt, ein Urteil als gültig zu erklären. Notwendige Bedingung hierbei ist, dass die sprechende Person die offizielle Autorität und Genehmigung besitzt, den genannten Akt zu vollziehen. Diese Art von Sprechakt ist nur dann erfolgreich, wenn das oben genannte Kriterium erfüllt ist. Wenn jenes Urteil angenommen von einer Arbeitskraft gegenüber dessen Vorgesetzten geäussert wird, gilt der Sprechakt als nicht erfolgreich. Hingegen, wenn ein*e Richter*in diese Aussage am Ende eines Gerichtsverfahrens ausspricht, wird das Urteil als gültig eingestuft. 

Sprechakte können auch eintreten, wenn bestimmte Ausdrucksformen eingesetzt werden. Damit sind Ausdrücke wie Befehle, Wünsche, Fragen oder Drohungen gemeint. Das folgende Beispiel zeigt zwei Äusserungen, die aufgrund ihres Ausdrucks als Sprechakte eingestuft werden können.

(1) Enno, verlass den Raum! 

(2) Wenn Enno den Raum verlässt, werde ich ihn auch verlassen. 

 

Beide Beispiele handeln von einer Person namens Enno und es wird darüber berichtet, dass Enno möglicherweise den Raum verlassen wird. Trotz gemeinsamer Anhaltspunkte haben die zwei Aussagen eine andere Wirkung und ziehen unterschiedliche Handlungen nach sich. Während der erste Satz einen klaren Befehl darstellt, verkörpert die zweite Äusserung eine Drohung. Es ist wahrscheinlich, dass aus beiden Fällen resultiert, dass Enno den Raum verlassen wird. In Aussage (2) wird jedoch eine weitere Person, nämlich jene, die die Drohung äussert, den Raum gemeinsam mit Enno verlassen. Somit bewirkt die Art der Äusserung unterschiedliche Handlungen und Reaktionen.

Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen direkten und indirekten Sprechakten. Erstere drücken genau das aus, was sie meinen bzw. geben das wider, was erzielt werden soll. Letztere dagegen tragen eine indirekte Aussage zusätzlich zur sprachlichen Äusserung. Betrachten wir diesen Sachverhalt an einem Beispiel, wobei (a) und (b) zwei mögliche Sprechakte darstellen, die in der beschriebenen Situation je eigenständig vorkommen könnten:

 

Die Klasse 4B sitzt im Schulzimmer. Draussen schneit es und Mika öffnet das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Darauf ruft Toni:

(a) Mach das Fenster zu, es ist kalt!

(b) Brrrr! Es ist so kalt!

 

Mittels Aussage (a) wird direkt und unmissverständlich ausgedrückt, dass Toni friert und aufgrund dessen das Fenster geschlossen werden soll. Äusserung (b) dagegen drückt in erster Linie nur aus, dass Toni Kälte empfindet. Aus dem Kontext heraus und somit als indirekte Aufforderung kann daraus gezogen werden, dass Toni mit seinem Ausruf beabsichtigt, Mika dazu zu bringen, das Fenster wieder zu schliessen. Somit wird klar, dass auch indirekte Sprechakte Handlungen sind und eine damit verbundene Reaktion auslösen können.

TEIL 2: DIE DREI TEILAKTE

Nun wissen wir, was Sprechakte sind und wie sie im Alltag auftauchen können. Es ist uns bekannt, dass Sprechakte selbst eine Handlung darstellen und eine Reaktion nach sich ziehen. In diesem Modul wollen wir den Zusammenhang zwischen sprachlicher Äusserung eines Sprechaktes und der davon ausgelösten Handlung untersuchen. Dafür verwenden wir ein Schema mit drei Akten, die schliesslich einen Sprechakt formen. Am Anfang jedes Sprechaktes steht der lokutionäre Akt (Lokution). Dieser gilt als vertretend für die Tatsache, dass überhaupt etwas gesagt wird, nämlich die reine sprachliche Äusserung. Wir können dies auf das bereits besprochene Beispiel (b) Brrrr! Es ist so kalt! anwenden. Der lokutionäre Akt bestände darin, dass Toni diesen Ausruf tätigt, d.h. die Anreihung von Wörtern, die zusammen eine Bedeutung ergeben.

Eine Lokution kann nicht alleine stehen, sondern ist stets mit einer Illokution, bzw. einem illokutionären Akt verbunden. Dieser zweite Akt wird oftmals als der wichtigste der drei Teilakte angesehen, denn die Illokution beschreibt die unausgesprochene Nachricht, die aus dem Kontext der Situation, des sozialen Umfeldes und der gesellschaftlichen Normen im Zusammenhang mit der sprachlichen Äusserung verstanden wird. Klingt ziemlich kompliziert, ist es aber nicht. Nehmen wir unser Beispiel zur Hilfe, können wir folgende Dinge bezüglich des Kontexts feststellen: Das Fenster ist offen, draussen schneit es → es muss also auch im Schulzimmer kalt sein. Toni äussert sich dazu, dass er friere und wir schliessen daraus, dass er damit ausdrücken will, dass man das Fenster schliessen solle, denn wir wissen aus dem situativen Kontext, dass das Fenster von Mika geöffnet worden ist. Mit seiner Aussage will Toni also nicht nur ausdrücken, dass er friert, sondern fordert Mika auch indirekt dazu auf, das Fenster wieder zu schliessen. Genau dieses Indirekte, das wir bereits in Modul 1 dieser Lektion besprochen haben, findet sich im illokutionären Akt wieder, nämlich das Unausgesprochene, das mit einer indirekten Aussage mitgeteilt wird.

Der dritte und letzte Teilakt wird Perlokution genannt. Dabei handelt es sich um das Ergebnis eines vollzogenen illokutionären Aktes, d.h. die Reaktion des Gegenübers bzw. das Resultat eines Sprechaktes. Erklärt am Demonstrationsbeispiel steht der perlokutionäre Akt für die Folge, dass Mika das Fenster wahrscheinlich wieder schliessen wird, aufgrund der (b) Brrrr! Es ist so kalt! - Aussage von Toni. Mit diesem Ergebnis ist der dritte Teil eines Sprechaktes vollzogen und der gesamte Sprechakt vollendet.

 

Fassen wir dies zusammen, können wir die drei Akte wie folgt beschreiben:

Partneraktivität

Im Folgenden erkennst du Situationen mit direkten und indirekten Sprechakten. 

  1. Arbeite alleine: Überlege dir bei jedem Bild an den ergänzenden Sprechakt. Achtung, es können mehrere Lösungen korrekt sein. Überlege, in welchem Kontext die Sprechakte noch auftauchen könnten und suche anschliessend nach eigenen Beispielen und notiere sie.

  2. Arbeitet zu zweit: Vergleiche deine Antworten mit einer benachbarten Person und tausche dich mit ihr über die möglichen Situationen aus, in denen die Sprechakte auch vorkommen könnten. Stellt euch gegenseitig die Frage nach dem direkten bzw. indirekten Sprechakt eurer selbst gefundenen Beispiele.

Lösung: direkter Sprechakt-indirekter Sprechakt Lass mich in Ruhe und beschäftige dich mit deinem eigenen Kram!-Hast du nichts besseres zu tun?! Opa, kannst du bitte Milch kaufen? -Opa, es gibt keine Milch mehr im Kühlschrank! Rahel, hilf mir die Wäsche aufzuhängen!-Die Wäsche hängt sich nicht von selbst auf! Die Fenster sind sehr dreckig, du musst sie unbedingt putzen.-Die Fenster sind so dreckig, man kann die Aussicht draussen kaum noch erkennen! Mach das Fenster auf!-Hier erstickt man ja beinahe! Leg endlich dein Handy weg, wir sind am Esstisch und da gilt ein striktes Handyverbot!-Wir sind am Esstisch!

Übertragen auf das besprochene Beispiel gelangen wir zu dieser Darstellung:

(b) Brrrr! Es ist so kalt!

  1. Formt Gruppen à je 4 Personen und verteilt Nummern von 1-4 auf die Teilnehmenden. Besprecht kurz, was ihr gerade gelesen habt und unterstützt einander im Falle von Unklarheiten.

  2. Anschliessend notiert sich jede*r für sich eine neue Situation bzw. einen Sprechakt und zerlegt die Aussage in die drei Akte Lokution, Illokution und Perlokution.

  3. Wenn alle so weit sind, äussert Person 1 ihren Sprechakt, Person 2 bestimmt dessen Lokution, Person 3 dessen Illokution und Person 4 die dazugehörige Perlokution. Besprecht kurz, ob ihr euch einig seid, ansonsten diskutiert und einigt euch auf eine Lösung. Als nächstes äussert Person 2 ihr Beispiel und die Teilakte verschieben sich um eine Person. So wird das mit allen Sprechakten gemacht.

Gruppenaktivität

Abschliessende Gedanken

Kommunizierst du eher in direkten oder indirekten Sprechakten? Warum glaubst du, ist das so und in welchen Situationen ändert sich das?

Quellen

Hoffmann, L., & Searle, J. R. (2019). Was ist ein Sprechakt? In Sprachwissenschaft Ein Reader (pp. 174–193). essay, De Gruyter. 

Hornberger, N. H., & McKay, S. L. (1996). Sociolinguistics and language teaching. Cambridge Univ. Press. 

Levinson, S. C. (2013). Speech acts. In Pragmatics (pp. 226–278). chapter, Cambridge University Press. 

Pfister, J. (2021). Texte zur Sprachphilosophie. Reclam. 

Saeed, J. (2016). Functions of Language: Speech as Action. In Semantics (pp. 229–252). chapter, Wiley Blackwell. 

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