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HI-LING

LINGUISTIK AN MITTELSCHULEN

UNIT 2: VIOLATION OF MAXIMS

Lektion 2 Hypothese der kritischen Periode beim L2-Erwerb

In dieser Lektion befassen wir uns mit Hypothese der kritischen Periode, einer bedeutenden Theorie des Spracherwerbs. Sie schlägt einen zentralen Zeitrahmen für das effektive Erlernen einer zweiten Sprache vor.

Schlüsselkonzepte

  • Hypothese der kritischen Periode

  • Sprachbeherrschung

  • Alter des Spracherwerbs vs. Linguistisches Umfeld

Ice Breaker

Bildet Paare und diskutiert: Gibt es ein ideales Alter, um mit der Entwicklung verschiedener Kompetenzen zu beginnen? Denkt dabei nicht nur an das Erlernen von Sprachen, sondern auch an Kompetenzen wie digitale Kompetenz, musikalische Fähigkeiten, sportliche Fertigkeiten oder sogar soziale Fähigkeiten wie Empathie und Teamwork. Tauscht euch darüber aus, warum ihr glaubt, dass es ein "ideales Alter" für die Entwicklung dieser Kompetenzen gibt, oder diskutiert, warum das Konzept eines idealen Alters möglicherweise nicht anwendbar ist.

Die Erforschung der Hypothese der kritischen Periode

Stell dir Folgendes vor: Es sind die 1970er Jahre, und ein junges Mädchen namens Genie, 13 Jahre alt, wird gefunden, nachdem sie die meiste Zeit ihres Lebens in nahezu völliger Isolation verbracht hat. Ihre Geschichte ist nicht nur dramatisch, sondern auch ein wichtiges Puzzlestück für Linguisten. Bei Versuchen, Genie Sprache beizubringen, zeigte sich etwas Erstaunliches: Sie konnte zwar Wörter aufschnappen, hatte aber Schwierigkeiten, sie in Sätze einzubauen. Dies führte in der Linguistik zu der Idee, dass es vielleicht eine bestimmte "goldene Periode" für das Erlernen einer Sprache gibt, eine Zeit, in der unser Gehirn einfach so verdrahtet ist, dass es neue Wörter und Grammatik wie ein Schwamm aufsaugt. 

 

Ursprünglich bezog sich diese Hypothese auf das Erlernen der ersten Sprache. Doch schon bald fragten sich die Linguisten: Was ist mit den Zweitsprachen? Sie schlugen vor, dass es ab einem bestimmten Alter, in der Regel im späten Teenageralter, schwieriger wird, eine neue Sprache wie Französisch oder Englisch zu lernen. Es ist nicht unmöglich, aber es ist so, als würde man als Teenager Skifahren lernen und nicht als Kind - man fühlt sich anfangs vielleicht etwas wackeliger.

 

Forscher haben darüber debattiert, was es wirklich bedeutet, eine Sprache zu "beherrschen". Frühe Studien konzentrierten sich auf die Aussprache - sie fanden heraus, dass jüngere Lernende ihre "Rs" rollen oder den "ü"-Laut im Deutschen einfacher produzieren. Aber ist die perfekte Aussprache das einzige Zeichen dafür, dass man eine Sprache gut beherrscht?

Spätere Untersuchungen konzentrierten sich auf die Grammatik und stellten fest, dass jüngere Lernende tendenziell weniger Fehler im Satzbau machen. Dies warf eine neue Frage auf:
Ist grammatikalische Genauigkeit das wahre Maß für die Beherrschung einer Sprache?

 

Die meisten neueren Studien unterstützen im Allgemeinen die Idee einer kritischen Periode und weisen darauf hin, dass es von Vorteil ist, früh mit dem Sprachenlernen zu beginnen. Sie zeigen aber auch, dass ein gewisses Alter kein Hindernis ist, um sich in einer zweiten Sprache gut verständigen zu können. Man hat vielleicht einen leichten Akzent oder verwechselt gelegentlich ‘der, die, das’, aber du kannst dich immer noch in einer anderen Sprache unterhalten, verhandeln, Witze machen und Kontakte knüpfen. Das ist doch das, was wirklich zählt, oder?

Diskutiert zu zweit: 

  • Denkt über die Hypothese der kritischen Periode nach. Wenn diese Hypothese zutrifft, was bedeutet sie deiner Meinung nach für Personen, die erst nach 18 Jahren mit dem Erlernen einer zweiten Sprache beginnen?

  • Berücksichtigt verschiedene Aspekte wie Sprachkenntnisse, Akzent, kulturelles Eintauchen und Lernstrategien.

  • Glaubt ihr, dass die Herausforderungen groß genug sind, um späte Sprachenlerner zu entmutigen, oder gibt es Möglichkeiten, diese Herausforderungen zu überwinden?

Wann ist der beste Zeitpunkt für die Einführung einer L2 in der Schule?

Eine der laufenden Debatten in der Sprachausbildung ist die Bestimmung des optimalen Zeitpunkts für die Einführung einer zweiten Sprache in die Schüler. Lasst uns diese Frage klären:

 

Junge Schüler: Für junge Kinder, zum Beispiel in der Primarschule ist das Erlernen einer zweiten Sprache nur eines von vielen Fächern. Sie haben zwar den Vorteil, dass sie sich in der "kritischen Phase" befinden, aber sie brauchen auch viel Übung, um die Sprache auf natürliche Weise aufzunehmen.

Ältere Schüler: Im Gegensatz dazu könnten ältere Schüler, beispielsweise am Gymnasium, von strukturierten Lernumgebungen, wie sie in Schulen üblich sind, stärker profitieren, was das Verstreichen der "kritischen Phase" kompensieren könnte.

 

Die Hypothese der kritischen Periode schlägt "optimales Alter" für das Erlernen einer Sprache vor. Dies hat zu zwei Denkschulen geführt:

Frühe Einführung: Einige plädieren für eine frühe Einführung von Zweitsprachen in der Schule, weil sie glauben, dass man eine Sprache umso besser beherrscht, je länger man ihr ausgesetzt ist.

Umfeld statt Alter: Andere argumentieren, dass es mehr auf das sprachliche Umfeld ankommt als auf das Alter, in dem das formale Lernen beginnt.

Seit den 1990er Jahren ist in vielen europäischen Ländern, darunter auch in der Schweiz, eine deutliche Verschiebung hin zu einer früheren Einführung des Zweitsprachenerwerbs in der Primarschule zu beobachten. Dieser Trend spiegelt die wachsende Bedeutung der Mehrsprachigkeit in einer zunehmend vernetzten Welt wider.

Ein interessantes Beispiel ist der Sprachunterricht in den Schweizer Kantonen. Hier lernen die Schüler oft zuerst Französisch und dann Englisch. Interessant ist, dass viele Schülerinnen und Schüler, obwohl sie früher mit dem Französischunterricht beginnen, am Ende der Schulzeit bessere Englischkenntnisse aufweisen. Dies stellt die Annahme in Frage, dass ein früherer Beginn automatisch zu besseren Sprachkenntnissen führt. Wir werden in Lektion 4 mehr Zeit haben, um mögliche Faktoren für dieses Phänomen zu besprechen.

Zielsetzung: Betrachte den Trend zur früheren Einführung von Zweitsprachen in europäischen Schulen kritisch.

Anweisung:

  1. Untersuche das Diagramm: Studiere zunächst das Diagramm, das den Trend, Zweitsprachen in verschiedenen europäischen Ländern in jüngerem Alter zu unterrichten, aufzeigt. 

  2. Gruppendiskussion (10 Minuten)
    Diskutiert in kleinen Gruppen die Auswirkungen dieses Trends auf der Grundlage eures Verständnisses der Hypothese der Kritischen Periode und der Faktoren, die das Sprachenlernen beeinflussen.
    Berücksichtigt Fragen wie: Führt ein früherer Beginn immer zu besseren Sprachkenntnissen? Welche Rolle spielen die Lehrmethoden und das kulturelle Umfeld?

  3. Diskussion in der Klasse (10 Minuten):
    Die Gruppen teilen ihre Erkenntnisse mit der Klasse. Diskutiert die möglichen Vor- und Nachteile dieses Bildungstrends.
    Untersucht verschiedene Standpunkte und überlegt, wie sich dieser Trend auf die Ergebnisse des Sprachenlernens auswirken könnte.

Übung 2

Abschliessende Gedanken

Der Spracherwerb ist ein lebenslanger Prozess. Der frühe Kontakt mit einer Sprache hat zwar seine Vorteile, aber der Reichtum der sprachlichen Vielfalt kann in jedem Alter genutzt werden. 

Bibliografie

Cook, V., & Singleton, D. M. (2014). Key topics in second language acquisition. Multilingual Matters.

 

Hartshorne, J. K., Tenenbaum, J. B., & Pinker, S. (2018). A critical period for second language acquisition: Evidence from 2/3 million English speakers. Cognition, 177, 263-277.

 

VanPatten, B., Smith, M., & Benati, A. (2019). Key Questions in Second Language Acquisition: An Introduction. Cambridge: Cambridge University Press.

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