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HI-LING

LINGUISTIK AN MITTELSCHULEN

UNIT 2: VIOLATION OF MAXIMS

Kontext und Hintergrundwissen

Definition:

Kontext und gemeinsames Wissen sind die Grundlage für erfolgreiche Kommunikation.

Was in einem Gespräch alles explizit kommuniziert werden muss, ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig wie Gesprächspartner*in und Modus.

Schlüsselbegriffe

  • Kodierung und Dekodierung

  • kulturelles Wissen

  • Sprachwissen

  • Weltwissen

  • Kontextwissen

  • soziale und situative Angemessenheit

TEIL 1: KONTEXT UND GETEILTES HINTERGRUNDWISSEN IN GESCHRIEBENER UND GESPROCHENER SPRACHE

Dieser Teil der Lektion konzentriert sich auf die kontextuellen Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache.

Der Hauptunterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ist der Modus. Der Modus beschreibt den Kanal, auf dem die Sprache übertragen wird. Gesprochene Sprache wird mit Schallwellen durch die Luft übertragen. Schriftliche Sprache wird visuell, auf Papier oder Bildschirm, mit einem Schriftsystem übertragen. Geschriebene Sprache kann handschriftlich, mit der Schreibmaschine geschrieben, als Graffiti, virtuell oder gedruckt sein. Im Deutschen verwenden wir das lateinische Alphabet, aber es gibt viele verschiedene Schriftsysteme, wie Kanji für Japanisch. In Sprachen, die das lateinische Alphabet verwenden, sind Buchstaben Symbol für einen Laut. Zusammengesetzt ergeben sie ein Wort, welches etwas repräsentiert. Als Beispiel: Wenn du ‘a’ liest, weisst du, dass damit der Laut /a/ gemeint ist. Wenn du das Wort ‘Baum’ liest, welches aus den Buchstaben ‘b’, ‘a’,’u’ und ‘m’ besteht, ist damit eine grosse Pflanze mit Stamm und Ästen und Blättern gemeint. Schriftsysteme sind also wie ein Code, den man lernen und dann verstehen kann. Die gesprochene Sprache funktioniert auf die gleiche Weise, kodiert aber die Bedeutung in Lauten statt in Symbolen.

Wenn du etwas sagst, können die Laute, die du erzeugst, meist nur von Personen gehört werden, die in der Nähe sind. Die gesprochene Sprache ist also an eine*n Sprecher*in gebunden. Zudem verschwinden die Schallwellen, die durch dein Sprechen erzeugt werden, innert kürzester Zeit und mit ihnen deine Worte. Da bei der gesprochenen Kommunikation beide Gesprächspartner*innen anwesend sein müssen, können sie sich auf den Kontext in ihrer Umgebung beziehen. Sie können sich auf Geräusche oder Gerüche beziehen, ohne sie ausführlich zu erklären, oder sie können auf Dinge zeigen, anstatt sie zu beschreiben.

Mit der Schrift hingegen können Menschen über Raum und Zeit hinweg kommunizieren. Da man etwas Materielles produziert, das - nicht wie Schallwellen - beständig ist, kann es weitergegeben oder gespeichert werden, und jemand in der Zukunft oder auf einem anderen Kontinent kann es lesen und die verschlüsselten Informationen erhalten. Hier kann man sich nur auf den Kontext verlassen, der schriftlich festgehalten wurde. Wenn der Brief keine Angaben zu Ort und Datum enthält, wird der*die Leser*in eines Briefes nicht wissen, wann oder wo er geschrieben wurde. So werden Wörter wie "heute" oder "hier" unklar: wo ist “hier”? Wann ist “heute”? Oder gar: Wer ist “ich”? Wir werden im zweiten Modul dieser Lektion mehr über solche Wörter sprechen. In der geschriebene Sprache müssen deshalb mehr Informationen explizit formuliert werden, da es keine gemeinsame Umwelt gibt, auf die man sich beziehen kann, wie dies in der gesprochenen Sprache der Fall ist.

Beim Sprechen weisst du mit Sicherheit, wer dein Publikum oder dein Gegenüber ist, denn diese müssen anwesend sein. Wenn du weisst, wer dir zuhört, kannst du auch abschätzen, was dein Gegenüber weiss. Ihr seht dieselben Dinge, hört dieselben Dinge, riecht dieselben Dinge. Du kannst vielleicht auch einschätzen, was die Person über das Gesprächsthema weiss: deine Geschichtslehrerin hat vermutlich bereits ein grosses Vorwissen zum Zweiten Weltkrieg, dein kleiner Bruder weiss hingegen vielleicht noch kaum etwas darüber. An dieses Vorwissen kannst du dich dann anpassen: deine Geschichtslehrerin braucht viel weniger Erklärungen, um deine Hypothese zur Frage nach der Kriegsschuld verstehen zu können als dein kleiner Bruder. Zudem solltest du auch deine Sprache und die Komplexität deiner Erklärung deinem Gegenüber anpassen. Auch dazu wird dir das zweite Modul dieser Lektion mehr Informationen liefern.

Bei der schriftlichen Kommunikation ist das nicht so sicher. Du kannst deine*n Adressat*in kennen, z. B. wenn du einen Brief an jemanden schreibst, den oder die du kennst. Aber das ist nicht immer gegeben, z. B. wenn du eine E-Mail mit einer Bewerbung schreibst. Und du weisst vielleicht auch nicht, wer alles lesen wird, was du geschrieben hast. Der*Die Autor*in eines Lehrbuchs weiss nur, für welche Schulstufe er*sie schreibt, aber nicht, wer es alles lesen wird, oder wie lange das Lehrbuch benutzt wird. Das verändert die Art und Weise, wie er*sie schreibt: Gewisse Dinge müssen vielleicht besser erklärt werden oder es müssen Beispiele gewählt werden, die zeitlos sind, anstatt etwas, das nur jetzt relevant ist. Auch die Sprache ändert sich mit der Zeit, so dass alte Bücher vielleicht Wörter verwenden, die wir nicht mehr verstehen oder benutzen, wie z. B. Haupt anstatt Kopf.

Beim Schreiben kann man auch ändern, was man geschrieben hat. Bei gesprochener Sprache ist das nicht möglich. Wenn man etwas gesagt hat, kann man es nicht mehr zurücknehmen oder ändern.

Aufgrund dieser Unterschiede gelten für gesprochene und geschriebene Sprache unterschiedliche Regeln oder Konventionen. Deshalb können wir nicht einfach sagen, dass die geschriebene Sprache die grafische Darstellung der gesprochenen Sprache ist. Sie ist eine eigene Form der Sprache.

Partnerdiskussion

  1. Ordne mit einem*einer Partner*in die folgenden Begriffe entweder der gesprochenen oder der geschriebenen Sprache oder beiden zu.​

    auditiv, visuell, mündlich, in Echtzeit produziert, nur zur selben Zeit und am selben Ort verständlich, morgen verständlich, räumlich, zeitlich, planbar, bearbeitbar, Echtzeit-Interaktion
     

  2. Beantworte zusammen mit deinem*deiner Partner*in diese beiden Fragen:

- Welche Art von Sprache wird eurer Meinung nach als formeller angesehen?

- Welche Beispiele fallen euch ein, bei denen die Grenzen zwischen den beiden Arten von Sprache verschwimmen? Gibt es Beispiele, die in keine der beiden Kategorien passen?

Lösung Schriftsprache: visuell, morgen verständlich, räumlich, bearbeitbar, planbar Gesprochene Sprache: auditiv, mündlich, in Echtzeit produziert, nur zur gleichen Zeit und am gleichen Ort verständlich, zeitlich, planbar, Echtzeit-Interaktion Die Schriftsprache gilt als formeller und offizieller. Beispiele für beide Arten von Sprache: Sprachnotizen (gesprochene Sprache, aber wiederholbar, also dauerhafter) oder Snaps (geschriebene Sprache, aber kann nur einmal betrachtet werden) Beispiel für keine der beiden Kategorien: Gedanken (sind weder gesprochen noch geschrieben, nehmen aber die Form von Sprache an)

TEIL 2: ANFORDERUNGEN FÜR DIE DEKODIERUNG VON NACHRICHTEN

In der Kommunikation sprechen wir von einem*einer Sprecher*in und einem*einer Zuhörer*in. Die sprechende Person ist diejenige, die die Nachricht kodiert und sendet. Die Nachricht wird über einen Kanal übertragen, z. B. über Papier, Luft oder einen Bildschirm. Die zuhörende Person empfängt und entschlüsselt die Nachricht. Wir haben den Kanal bereits im vorherigen Teil der Lektion behandelt. In diesem Teil der Lektion werden wir uns auf die Kodierung und Dekodierung konzentrieren. Diese Prozesse beruhen auf geteiltem Wissen der Teilnehmenden und finden immer im Kontext einer Situation statt. Wenn Sprecher*in und Zuhörer*in über zu wenig gemeinsames Wissen verfügen, kann dies zu Missverständnissen oder Unverständnis führen. 

Wir unterscheiden vier verschiedene Bereiche von geteiltem Wissens: kulturelles Wissen, Wissen aus früheren Gesprächen, sprachliches Wissen und Wissen über die Welt. Hinzu kommt das kontextuelle Wissen. Diese werden in diesem Kapitel einzeln betrachtet.

Die erste Art geteiltes Wissens ist das kulturelle Wissen. Dies umfasst die Dinge, die wir als Kinder lernen und die spezifisch für unsere Region sind. Das heisst, sie sind sozial konstruiert. Wir lernen, was höflich ist und was nicht, oder was bestimmte Gesten bedeuten. Wichtig ist dabei, dass ein und dieselbe Handlung in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Nehmen wir das Schlürfen als Beispiel. Hier in Europa und in den meisten westlichen Ländern gilt Schlürfen und Schmatzen beim Essen als unhöflich und sollte nicht getan werden. In Japan hingegen bedeutet Schlürfen, dass das Essen köstlich ist, und wird als Kompliment an den*die Koch*Köchin verstanden. Ein sprachliches Beispiel ist das Erheben der Stimme am Ende eines Satzes, um anzuzeigen, dass man eine Frage stellt. In bestimmten Subkulturen (namentlich US-amerikanische Sorority) indiziert das gleiche neue Informationen im Gesprochenem.

Zweitens haben wir Wissen aus früheren Gesprächen. Darunter fallen Informationen, die in früheren Begegnungen ausgetauscht wurden und auf die man sich später beziehen kann. Wenn du dich beispielsweise mit deinem Mathelehrer unterhältst, weisst du, dass er weiss, wer du bist oder dass es sich bei der Hausaufgabe um dieses bestimmte Arbeitsblatt handelt. Du musst dich nicht jedes Mal zu Beginn eines Gesprächs vorstellen.

Der dritte Punkt ist sprachliches Wissen. Das bedeutet, dass sowohl du als auch dein Lehrer wissen, wie man einen Satz bildet, Verben konjugiert oder Pronomen verwendet. Dieses semantische und grammatikalische Wissen lernt man auch als Kind und in der Schule.

Viertens: das Wissen über die Welt. Dies sind Dinge, die als Allgemeinwissen gelten. Das kann alles sein: Politik, wer Barbie ist, grundlegende geografische Kenntnisse, die Handlung von Harry Potter oder Slang. Alles, was ein heute lebender Mensch wahrscheinlich weiss oder davon gehört hat. Und das bedeutet, dass du es nicht jedes Mal erklären musst. Wenn du mit deiner Mathelehrperson sprichst, musst du nicht erklären, was die Multiplikation ist. Du kannst davon ausgehen, dass sie das weiss.

Zu guter Letzt sollten wir noch über kontextuelles Wissen sprechen. Kommunikation findet immer im Kontext statt.  In Lektion zwei über Konversationsmaximen wirst du mehr darüber erfahren. Im Moment geht es vor allem darum, dass die Situation, in der du kommunizierst, und deine Gesprächspartner*innen entscheidend dafür sind, wie du kommunizierst. Das sind die beiden Kategorien: situative und soziale Angemessenheit. Das bedeutet nur, dass du deine Worte und Handlungen an die Situation anpasst und nicht umgekehrt.

Die soziale Angemessenheit wird durch die Beziehung zwischen dem*der Sprecher*in und dem*der Zuhörer*in bestimmt. Mit deiner Lehrperson sprichst du anders als mit deinen Klassenkamerad*innen, deinen Freund*innen oder deinen Eltern. Im Gespräch mit deinen Freunden fluchst du vielleicht, mit deiner Grossmutter nicht so sehr. Du nennst deine Freund*innen bei ihren Spitznamen oder ihren Vornamen, deine Lehrperson aber sprichst du mit Herrn oder Frau und ihrem Nachnamen an. In Lektion 4 wirst du mehr über Höflichkeit lernen.

In einem Notfall kommunizierst du auch anders als wenn du dich mit jemandem auf einen Kaffee triffst. Im ersten Fall redest du schnell und nur über Dinge, die relevant sind, im zweiten Fall kannst du dich auf Nebensächlichkeiten einlassen oder Witze machen. Das ist die situative Angemessenheit.

Wenn du noch Zeit hast, lies den nächsten Abschnitt. Andernfalls fahre mit der Übung fort. Du brauchst etwa 5-10 Minuten für die Übung.

Um zu zeigen, wie wichtig der Kontext in der Kommunikation ist, schauen wir uns deiktische Ausdrücke an. Das sind Wörter, deren Bedeutung vom Kontext abhängt, wie zum Beispiel morgen, dies, das, dort, hier, jetzt, später, bald. Stell dir ein Geschäft mit einem Schild im Schaufenster vor: Ich bin in einer Stunde wieder da. Da es keinen Zeitstempel gibt, könnte der*die Verkäufer*in erst vor 5 Minuten oder schon vor 50 Minuten gegangen sein. Du weisst es nicht. Der Kontext, in dem der Zettel geschrieben wurde, bestimmt die genaue Bedeutung der Nachricht.

Die beiden  Hauptgruppen sind Zeit- und Ortsdeixis. Wörter der Zeitdeixis beziehen sich auf die Zeit - morgen, jetzt, später, bald -, während deiktische Ausdrücke des Orts von der räumlichen Beziehung abhängen, wie dies, das, hier und dort. Aber auch die Personendeixis ist wichtig und umfasst beispielsweise Pronomen: ich, du, er etc.

  1. Google alle Wörter, die du nicht kennst. Kläre dann mit einer anderen Person aus deiner Klasse alle Fragen, die du zum Text hast.

  2. Wenn ihr fertig seid, schaut euch die folgenden Zeichnungen an. Macht abwechselnd Aussagen, in denen ihr dieselbe Botschaft wie in den Comics vermittelt, die aber der neu gegebenen Situation und den Teilnehmenden angemessen ist.

Beispiel:

Die Nachricht im ersten Bild ist 'Was hat diesen Lärm gemacht?'. Wenn die neue Situation das Gespräch zwischen einem Angestellten und seinem Chef ist, könne man sagen: Bertram, bist du das? Brauchst du Hilfe?

Neue Situation für das erste Comic: Ein Serviceangestellter findet ein Gast  in der Küche vom Restaurant.

Neue Situation für das zweite Comic: Zwei beste Freundinnen sprechen zusammen.

Partneraufgabe 

Lösung erstes comic: Nachricht: Was hat diesen Lärm gemacht? -Was hat diese Sauerei gemacht? -Ich habe im Kühlschrank gewühlt nach dem Spinat, der dann auf den Boden gefallen ist. -Sie können nicht alleine hier sein. mögliche lösung: Leo, bist du das? -Sie können nicht hier hinten sein! Sehen sie nur was passiert ist. -Ich wollte nur sehen, was dahinten ist. Und der Spinat sah so lecker aus… -Sie müssen sofort wieder ins Restaurant. Dieser Bereich ist nur für Angestellte. zweites comic: Nachricht: -Hallo -Hallo Sie sind sehr schön. Wollen wir morgen mit mir an den Ball gehen? Nein, ich habe ein Event. mögliche Lösung: -Hallo schaatz -Hiii Ach, du siehst super aus. Das Kleid steht dir totall! Wow! Hei, gehen wir morgen gemeinsam an die Party? Ich wünschte ich könnte! Leider kann ich nicht. Ich muss diese Sache erledigen.

Abschliessende Gedanken

Passt du deine Kommunikation absichtlich an oder geschieht das automatisch je nach Situation oder Teilnehmende? Hattest du schon Situationen, in denen die Kodierung und Dekodierung nicht übereingestimmt haben, d.h. jemand etwas verstanden hat, das nicht mit dem übereinstimmte, was der*die Sprecher*in sagen wollte (= Missverständnisse)?

Quellen

Cameron, D. and Panovic, I. (2014). Working with written discourse. London: Sage.

Fasold, R.W. and Connor-Linton, J. (2014). An Introduction to Language and Linguistics. Cambridge: Cambridge University Press.

Kuiper, K. and Allan, S. (2016). An Introduction to English Language: Word, Sound and Sentence. London: Palgrave Macmillan.

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